25 Millionen Euro verteilt: Was bleibt von der guten Tat im Guten Rat?

Daniela Ekl war im Guten Rat für das
Daniela Ekl war im Guten Rat für das “Graphic Recording” zuständig. Sie hat die Inhalte der Vorträge und Diskussionen im Bürgerrat live mitgezeichnet und visuell dargestellt.
Foto: Hanna Fasching / Guter Rat für Rückverteilung

Es waren 50 Menschen aus ganz Österreich, vom Foresight Institut nach sozialwissenschaftlichen Kriterien repräsentativ für die Wohnbevölkerung ausgewählt, die im ersten Halbjahr 2024 an sechs Wochenenden in Salzburg darüber diskutierten, brüteten, teilweise auch stritten, wer denn die 25 Millionen Euro aus dem Erbe der Wiener Aktivistin Marlene Engelhorn bekommen soll. Am Ende bedachte der “Gute Rat für Rückverteilung” insgesamt 77 Vereine und Organisationen, die sich zum Beispiel und naheliegenderweise mit Vermögensungleichheit, aber auch Umweltschutz, Obdachlosigkeit, häuslicher Gewalt oder den Bildungschancen für benachteiligte Kinder beschäftigen. DER STANDARD, der die Arbeit des Guten Rats in einer Langzeitbeobachtung begleitet hat, fragte bei fünf Ratsmitgliedern nach, wie sie heute darüber denken. Was ist geblieben von der guten Tat im Guten Rat?


Dietmar (66) empfand den Guten Rat als gelebte Demokratie

Dietmar, Mitglied im Guten Rat für Rückverteilung
Der Vorarlberger Dietmar war vor seiner Pensionierung im Telekom- und im Immobilienbereich tätig.
REUTERS/Lisa Leutner

Die Politik habe “erwartungsgemäß nicht reagiert”, sagt Dietmar, für sich jedoch ziehe er eine sehr positive Bilanz des Guten Rats. Die Erfahrung in Marlene Engelhorns Rückverteilungsprojekt habe er “als Form von gelebter Demokratie erlebt”, sagt der Vorarlberger: “Es war eine Erinnerung daran, dass Demokratie nicht nur ein System mit regelmäßigen Wahlen ist, sondern eine grundlegende Lebenseinstellung. Man muss sich selbst einbringen.” Es sei ihm persönlich gar nicht so leicht gefallen, seine private Meinung öffentlich zu sagen, aber genau das habe er als bereichernd empfunden: “Ich bin mit unheimlich vielen Leuten in Kontakt gekommen, und wir haben gesehen, dass 50 Menschen über alle Unterschiede und Differenzen hinweg respektvoll miteinander reden konnten”, sagt der 66-Jährige, der früher im Telekombereich und Immobilienmanagement tätig war.


Was er im Nachhinein ein bisschen bedaure, sei, dass sich seine Arbeitsgruppe mit dem Schwerpunkt Bildung und Information “extrem viel mit Bildung beschäftigt hat, aber da kann man eigentlich nicht viel machen ohne strukturelle Änderungen. Wenn wir unsere Demokratie retten wollen, dann muss im Medienbereich etwas passieren.” Das empfinde er durchaus als “Lücke” im Ergebnis des Guten Rats.


Dietmars Vorschlag zum Lückenschluss: “Regierungsinserate sollten komplett verboten, die Presseförderung von Grund auf neu aufgestellt werden.” Eine unabhängige Organisation wie der Presserat solle Kriterien definieren, nach denen qualitätsvoller Journalismus als zentrale Säule einer starken Demokratie gefördert werden solle. “Ich bin aber einigermaßen desillusioniert, dass sich da in nächster Zeit etwas tut.”

Friederike (74) beschäftigt auch die globale Ungleichheit

Friederike, Mitglied des Guten Rats für Rückverteilung.
Die Salzburger Pensionistin Friederike war früher Volksschullehrerin.
privat

Reichtum und Armut sind immer auch eine Frage der Perspektive und des Standorts. Aus Sicht eine ehemaligen “Normalverdienerin” wie Friederike, die als Volksschullehrerin unterrichtete, waren Marlene Engelhorns geerbte 25 Millionen Euro auf jeden Fall viel, sehr viel Geld. Und deren Umschichtung hin zu insgesamt 77 Organisationen, Vereinen und NGOs machte einen spürbaren Unterschied für die Betroffenen, die davon profitieren.


Fliege man jedoch wie sie 6500 Kilometer in südöstliche Richtung, dann werde ein noch viel drastischeres Ausmaß an Vermögensungleichheit sichtbar, sagt die 74-Jährige unmittelbar nach ihrer letzten Reise im STANDARD-Gespräch: “Wenn man in Indien die alltägliche Armut auf der Straße erlebt, wird einem diese unglaubliche Diskrepanz zwischen Arm und Reich, die uns im Guten Rat beschäftigt hat, in hundertfacher Größe bewusst”, erzählt die Salzburgerin noch etwas Jetlag-beeinflusst: “Das können wir uns gar nicht vorstellen, wie es ist, täglich auf der Straße, mitten im Verkehr, Abgase und Staub einatmend, Spielzeugautos zu verkaufen, um irgendwie überleben zu können.” Diese globale Dimension von sozialer Ungleichheit habe sie immer schon beschäftigt.


Die Arbeit im Guten Rat sei für sie daher eine noch bewusstere Auseinandersetzung mit dem Thema gewesen und habe ihr tieferes Detailwissen vermittelt. “Auch wenn wir in Österreich sozial viel besser abgesichert sind als in vielen anderen Ländern, beschäftigt es mich schon noch immer sehr, dass wir so hohe Abgaben auf Arbeit haben, aber keine Vermögens- und Erbschaftssteuern, um die soziale Ungleichheit wenigstens etwas abzuflachen.”

Kyrillos (17) hat gelernt, dass man nicht Ja sagen muss

Kyrillos, das jüngste Mitglied des Guten Rats für Rückverteilung.
Der Wiener AHS-Schüler Kyrillos war das jüngste Mitglied im Guten Rat für Rückverteilung.
REUTERS/Lisa Leutner

Er war erst 16, als er als jüngstes Mitglied des Guten Rats für Rückverteilung mit 49 anderen Menschen über 25 Millionen Euro entscheiden sollte. Ein halbes Jahr nach der Präsentation der Ergebnisse, bei der Kyrillos vor vielen Kameras und Mikrofonen öffentlich auftrat, nennt der Gymnasiast diese Zeit eine “extrem wichtige Erfahrung, die bei mir sehr viel verändert hat”.


Was? “Man vergisst manchmal, dass Demokratie mehr ist, als alle paar Jahre ein X auf einem Wahlzettel zu machen. Man soll sich einbringen.” Dieses Gefühl der demokratischen Verantwortung habe die Arbeit im Guten Rat bei ihm verstärkt. Er verfolge das politische Geschehen jetzt viel bewusster – über Social Media, aber auch durch bewusste Stichwortsuche im Internet: “Etwa den Stand der Koalitionsverhandlungen.” Da falle ihm schon auf, dass “die Verteilungsfrage weit nicht so wichtig genommen wird wie bei den Debatten im Guten Rat. Ich habe noch immer stark im Kopf, dass Vermögen in Österreich nicht gerecht verteilt ist. Das wissen viel zu wenige, wie ungleich das ist.”


Dass die Politik die Botschaften aus dem Guten Rat nicht wirklich aufgegriffen hat, schmälert die Begeisterung des AHS-Schülers nicht: “Einfach, dass wir es gemacht haben, ist schon eine super Leistung.”


Auch als Person habe er sich “extrem verändert”, sagt der junge Wiener: “Der Gute Rat hat mein Selbstbewusstsein gestärkt, weil ich erlebt habe, wie es ist, als Jüngster und dann auch noch Einziger eine Überzeugung gegen alle anderen zu vertreten. Ich habe gelernt: Auch wenn du in der Minderheit bist, musst du nicht Ja sagen.” Das habe er in seinen Alltag mitgenommen: “Man muss etwas sagen.”

Elisabeth (58) hätte sich mehr Resonanz gewünscht

Elisabeth, Mitglied des Guten Rats für Rückverteilung.
Die Oberösterreicherin Elisabeth, Bergbäuerin und Supermarktkassierin, war eine von vier Ratsmitgliedern, die die Ergebnisse öffentlich präsentierten.
REUTERS/Lisa Leutner

Elisabeth hatte vor dem Guten Rat schon einmal “hineingeschnuppert” in die Gemeindepolitik, ist aber wieder ausgestiegen, “weil mir – wie in der ,großen‘ Politik – das Miteinander über Parteigrenzen hinweg fehlte”, erzählt die Bergbäuerin, die auch als Supermarktkassierin arbeitet: “Es ist fast immer ein Machtspiel. Ich bin politisch interessiert, aber ich habe das Gefühl, da richte ich nix aus.”


Dann kam jener Bürgerrat, dem Millionenerbin Marlene Engelhorn im Sinne einer privaten demokratischen Intervention die Rückverteilung ihres Erbes überantwortet hatte – und es wurde zu einem “wichtigen und bleibenden Erlebnis” für die 58-Jährige, denn: “Der Gute Rat war ein geschützter Bereich, wo man seine Meinung angstfrei offen sagen konnte.” Und dieses Gefühl, “dass man wahrgenommen wurde, wenn man etwas sagt”, sei für viele der Ratsmitglieder, die zuvor oft das Gefühl hatten, dass “die Politik” ohnehin mehr oder weniger ohne sie oder über sie hinweg stattfinde, eine wichtige Erfahrung gewesen.


Etwas anders fällt Elisabeths Resümee mit Blick nach außen aus: “Wir mittendrin haben den Guten Rat als etwas ganz Großes empfunden, aber von der Politik wurde er nicht aufgegriffen. Die Botschaften wurden gekonnt ignoriert. Das war ein bisschen enttäuschend, weil wir uns nach der Euphorie etwas mehr erwartet hätten.” Sie habe sich erst unlängst beim Keksebacken gefragt: “Hätten wir was anders machen können, um mehr Reichweite für das Thema Vermögensungleichheit zu erreichen?” Es sei ja virulenter denn je: “Wir sehen ja bei den Insolvenzen jetzt: Die ‚kleinen Leute‘ ohne Job sind die Armen und bleiben mit ihren Schwierigkeiten übrig.”

Fritz (85) hält Geld und Macht für eine gefährliche Kombination

Fritz, das älteste Mitglied im Guten Rat für Rückverteilung.
Fritz, pensionierter Finanzbuchhalter aus Oberösterreich, war das älteste Mitglied im Guten Rat für Rückverteilung.
privat

Mit seinen 85 Jahren war Fritz quasi der Alterspräsident des Guten Rats. Das Alter hätte seine Teilnahme zwar zu einer “Herausforderung” gemacht, aber er gehöre nicht zu denen, “die sagen, das geht mich nix mehr an”. Im Gegenteil, beschreibt der Oberösterreicher seine Motivation: “Ich habe mich gefragt: Kann man noch was bewirken in meinem Alter? Und da bin ich aus dem Guten Rat auf jeden Fall gestärkt herausgegangen. Ich würde es immer wieder machen.”


Zumal er das zentrale Thema des Bürgerrats – das problematische Verhältnis von Geld und Macht – für wichtiger und virulenter denn je halte, sagt der Vater eines Sohnes, der für eine Erbschaftssteuer ist: “Ein aktuelles Beispiel ist Elon Musk. An ihm sieht man aus meiner Sicht sehr gut, dass Geld und Macht eine gefährliche Kombination ist.”


Umso bedauerlicher sei, dass die Arbeit des Guten Rats, vor allem die Botschaften an die Politik, von dieser mehr oder weniger ignoriert wurden: “Meine Gruppe, die sich mit Teilhabe und Rechten beschäftigt hat, äußerte Sorge über die wachsende Politikverdrossenheit, aber das wurde unter den Teppich gekehrt. Man hatte das Gefühl, man möchte den Guten Rat eher negieren. Das Wichtigste ist für mich aber ohnehin Bewusstseinsarbeit in der breiten Masse – und da ist schon viel an Diskussion entstanden.”


Das “Gehalt”, das die Ratsmitglieder für sechs Arbeitswochenenden erhalten haben (7200 Euro), liege noch auf dem Konto, verrät der frühere Finanzbuchhalter: “Der Betrag wird korrekt versteuert und dann spende ich einen Teil im Rahmen meiner alljährlichen kleinen Rückverteilung an karitative Einrichtungen und Freiwilligenorganisationen.” (Lisa Nimmervoll, 28.12.2024)


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