ÖVP und SPÖ verhandeln wieder

Nehammer und Babler stehen unter hohem Zeit- und Erfolgsdruck. Bundespräsident Alexander Van der Bellen machte es Freitagabend deutlich: Er erwarte sich von Nehammer und Babler, dass die weitere Regierungsbildung „ohne Zeitverzug geschehen“ müsse, sagte das Staatsoberhaupt in einer kurzen Videobotschaft pünktlich zum Beginn der ZIB1.

Rund um das Statement des Bundespräsidenten hatten dann auch die beiden Parteien bestätigt, dass sie weiter zu zweit an einer künftigen Koalition arbeiten wollten.

Bewegung in starren Fronten?

Dadurch könnte es auch zu Bewegung in bisher starren inhaltlichen Fronten kommen. Das deutete sich etwa bei Salzburgs ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer an, der im Ö1-Interview Samstagmittag erstmals betonte, es müsse „auch einnahmenseitig etwas passieren“. Die offizielle ÖVP-Linie lautete hier bisher anders. Die SPÖ fordert dagegen neue oder höhere Steuern, vor allem Vermögens- und Erbschaftssteuern.

Ein Mandat Überhang

Ob die Aussichten auf Einigung mit dem Ausstieg von NEOS gestiegen oder gefallen sind, muss sich in den nächsten Tagen zeigen: Einerseits verliefen inhaltlich die Gräben teils weniger zwischen NEOS und den beiden anderen Parteien als vielmehr zwischen ÖVP und SPÖ. Andererseits verhandelt es sich zu zweit grundsätzlich leichter – und mit den Sozialpartnern an der Seite haben ÖVP und SPÖ eine jahrzehntelange Übung des Verhandelns miteinander.

Bei Beobachterinnen und Beobachtern gilt angesichts der für ÖVP und SPÖ schlechteren Alternativen ein Zweierbündnis derzeit als wahrscheinlichste Variante – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Auch ORF-Innenpolitikchef Claus Webhofer betonte in der ZIB13, derzeit sei ein Zweierbündnis ÖVP mit SPÖ am wahscheinlichsten.

ORF-Analyse: Wann kommt die neue Regierung?

Klaus Webhofer (ORF) ist zu Gast im Studio. Er spricht darüber, wann in Österreich mit einer neuen Regierung zu rechnen ist, ob es zu Neuwahlen kommen könnte und welche Rolle die FPÖ nun spielt.

Der Politologe Peter Filzmaier hatte zuvor in der ZIB2 allerdings betont, in vielen Punkten sei man „um keinen Schritt weiter“ als zu Beginn der Koalitionsverhandlungen. Es habe zwar Ergebnisse in den einzelnen Untergruppen gegeben, „aber die immer, ohne dass man über die budgetäre Bedeckung Bescheid wusste, und das ist auch das Defizit für das Reformthema“, so Filzmaier.

Van der Bellen will „Verhandlungen ohne Zeitverzug“

Zum Ausstieg von NEOS aus den Koalitionsverhandlungen hat sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen geäußert. ÖVP und SPÖ hätten ihm berichtet, dass man weiterverhandeln wolle. Das müsse nun „ohne Zeitverzug“ stattfinden, so Van der Bellen – er wolle „schnelle und umfassende Klarheit“.

Nehammer und Babler brauchen Erfolg

Nehammer und Babler stehen auch persönlich unter Erfolgsdruck – im Fall eines neuerlichen Scheiterns müssen sie fürchten, dass ihre jeweilige innerparteiliche Unterstützung rasch erodiert.

Die parlamentarische Mehrheit mit einem Mandat Überhang reicht, um Gesetze zu beschließen – insbesondere für das Budget. Freilich ist eine solche Mehrheit höchst fragil, und das Regieren mit einer solchen hat in Österreich auch keine Tradition. Die Rolle des Parlaments – etwa, wenn ÖVP und SPÖ für Verfassungsgesetze die Stimmen einer weiteren Partei brauchen – könnte andererseits dadurch gestärkt werden. Auch das ist freilich etwas, was in der Zweiten Republik in der Form Seltenheitswert hatte.

„Konstruktive Kräfte“ und „ausgestreckte Hände“

Nehammer appellierte in seiner Videobotschaft an „die konstruktiven Kräfte der politischen Mitte“, mit der ÖVP von ihm skizzierte Leitlinien in Sachen Wirtschaft, Migration und Integration anzugehen – und nannte Schlagworte wie Wettbewerbsfähigkeit, Konsequenzen im Asylrecht oder dass sich Leistung lohnen müsse.

Babler wiederum kritisierte ganz konkret NEOS für den – laut dem Parteichef völlig überraschenden – Abbruch der Verhandlungen. NEOS hätte Parteitaktik vor Staatsinteressen gestellt, so Babler. Er räumte ein, dass die Positionen gerade beim Thema Budgetkonsolidierung weit auseinander gelegen wären. Allerdings seien die Verhandlungen kurz vor einer „Richtungsentscheidung gestanden“.

Babler: „Unsere Hand bleibt ausgestreckt“

SPÖ-Parteichef Andreas Babler sei vom „blitzartigen Ausstieg“ von NEOS aus den Koalitionsverhandlungen „sehr überrascht“ gewesen. Er warf NEOS „Parteitaktik“ vor. Als SPÖ wolle man weiter „Staatsverantwortung übernehmen“, so Babler: „Unsere Hand bleibt ausgestreckt.“

Meinl-Reisinger: Spielraum ist kleiner geworden

Was letztlich im Detail den Ausschlag gegeben hatte, dass NEOS die Koalitionsverhandlungen verließ, blieb auch am Freitagabend offen. In der ZIB2 wiederholte Parteichefin Beate Meinl-Reisinger viel von dem, was sie bereits in ihrem Statement am Vormittag gesagt hatte. In den letzten Tagen sei der Eindruck entstanden, dass in zentralen Fragen „leider nicht nur keine Fortschritte, sondern eigentliche Rückschritte gemacht wurden“.

„Für Minimalkompromiss braucht es uns nicht“

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger nahm in der ZIB2 noch einmal Stellung zum Ausstieg von NEOS aus den Koalitionsgesprächen mit SPÖ und ÖVP. Bei vielen Punkten habe sich zuletzt gezeigt, dass bestenfalls Minimalkompromisse möglich wären. Und dafür brauche es NEOS nicht, so Meinl-Reisinger.

In der ZIB2 sprach Meinl-Reisinger die Themen Pensionen, Gesundheitsfinanzierung, Föderalismusreform und das Zurückdrängen des Parteieneinflusses an. Sie wolle aber bewusst keine Schuldzuweisungen machen, sagte die NEOS-Chefin auf die mehrmalige Nachfrage, wo genau die von Meinl-Reisinger monierten Rückschritten gewesen seien. „Der Spielraum ist in den letzten Tagen kleiner geworden“, so Meinl-Reisinger.

TV-Hinweis

ORF III zeigt um 20.15 Uhr ein „Zur Sache Spezial“ mit dem Titel „Da waren es nur noch zwei: Wie gehen die Koalitionsverhandlungen weiter?“

Problem der knappen Mehrheit

Eine Option, um die hauchdünne Mehrheit solide zu verbreitern, wären nur die Grünen als dritter Partner gewesen. Die gaben sich aber gleich zurückhaltend und äußerten sich eher kritisch.

Die FPÖ wiederum warnte am Freitag vor einer neuen Dreiervariante und forderte den umgehenden Rücktritt Nehammers. Parteichef Herbert Kickl sprach von einer „politischen Missgeburt der Verlierer-Ampel“.

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