ÖVP und SPÖ ringen ab Samstagnachmittag mit “open end” um ein Bündnis
Koalitionsgespräche
Ab 13 Uhr treffen sich die Parteien im Bundeskanzleramt in größerer Runde. Verhandelt wird über das lange Wochenende – der Druck ist hoch
Freitagmittag soll in der ÖVP eine Kommunikationssperre ausgegeben worden sein. Aus Parteikreisen heißt es, aus dem Kanzleramt sei die Direktive gekommen, dass niemand mehr abheben möge, wenn Journalistinnen und Journalisten anrufen. Der Grund liegt auf der Hand: Aktuell weiß niemand, wie es weitergehen wird. Also sei es besser, zu schweigen, wurde in der ÖVP befunden.
Die Situation ist brenzlig. Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer hat im Grunde nur noch eine Chance: Türkis-Rot. Die Neos sind abgesprungen, die Grünen gelten in der Volkspartei als nicht mehr paktierfähig, FPÖ-Chef Herbert Kickl hat Nehammer explizit als Partner ausgeschlossen. Eigentlich jeder, den man in der Volkspartei fragt, sagt: Entweder Nehammer schließt jetzt rasch einen Pakt mit der SPÖ – oder er ist als Parteichef Geschichte.
Problem der schwachen Mehrheit
ÖVP und SPÖ wollen es nach dem Ausstieg der Liberalen in den Verhandlungen nun zu zweit versuchen. Ein Scheitern wird allerdings weiterhin nicht ausgeschlossen. Ab 13 Uhr verhandeln beide Parteien am Samstag im Bundeskanzleramt, wurde dem STANDARD von mehreren Seiten bestätigt.
Ein Regierungsbündnis von Konservativen und Sozialdemokraten wäre aber nur sehr schwach abgesichert, gemeinsam haben sie nach der Wahl vom 29. September nur ein Mandat Überhang im Nationalrat. Fehlt nur ein Parlamentarier, wäre die Mehrheit weg. In der ÖVP wie auch der SPÖ herrscht Skepsis, ob ein solches Bündnis deshalb Bestand habe, selbst wenn nun eine Einigung erzielt werden könne.
Bei dem Gespräch am Samstag in größerer Runde sind neben Nehammer und SPÖ-Chef Andreas Babler auch die rote Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder, ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker, Klubobmann August Wöginger sowie der Gewerkschafter Josef Muchitsch und SPÖ-Klubchef Philip Kucher dabei. Wie “ohnehin immer” werde es vor allem um das berüchtigte Duo “Budget und Leuchttürme” gehen, heißt es auf STANDARD-Nachfrage. Verhandelt werde über das lange Dreikönigswochenende “mit open end”.
Türkiser Exit mit Kurz?
In der SPÖ zeigt man sich grundsätzlich aufgeschlossen für zielgerichtete Gespräche. Auch Nehammer und sein Team sollen motiviert sein. Doch selbst innerhalb der Sozialdemokratie gestehen manche den Neos den Punkt zu: die bisherigen Einigungen und Kompromisse seien für eine Regierung noch ein gutes Stück zu wenig, für eine langfristig stabile Koalition erst recht. Wie weit man sich bei besonders strittigen Punkten wie der Erhöhung des Pensionsantrittsalters oder vermögensbezogenen Steuern ohne Neos im Boot noch annähern könne, traute man sich am Samstag in roten Verhandlerkreisen nicht einzuschätzen.
Und dann ist da noch ein Gerücht, das seit Freitag in der Hauptstadt immer lauter wird – und auch bei Genossinnen und Genossen für Unsicherheit sorgt. Nach dem Scheitern der geplanten Dreierkoalition bringe sich Ex-Kanzler Sebastian Kurz in Stellung, die ÖVP wieder zu übernehmen. In der ÖVP wird dieses Szenario von vielen nicht mehr ausgeschlossen. Unter Roten sorgt es für Bauchweh in Bezug auf die aktuellen Verhandlungen.
Babler hatte bei einer Pressekonferenz am Freitagabend betont, dass die roten Hände für eine Regierungsbildung mit der ÖVP “ausgestreckt bleiben” würden. Der Parteichef schränkte aber auch ein: “Parallelverhandlungen” der ÖVP mit den Freiheitlichen würde er nicht akzeptieren. An Nehammer dürfte der rote Parteivorsitzende dabei eher nicht gedacht haben. Denn daran, dass der Kanzler es ernst meint, selbst nicht “mit der Kickl-FPÖ” zusammenzuarbeiten, hegen die Genossinnen und Genossen wenig Zweifel.
Turbulenter Freitag
Das Platzenlassen der angestrebten Dreierkoalition durch die Neos hatte am Freitag nicht nur Türkis und Rot, sondern auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen überrascht. Nach längerem gegenseitigem Belauern gaben Volkspartei und Sozialdemokraten schließlich bekannt, trotzdem weiter verhandeln zu wollen. Van der Bellen erklärte, es gelte noch immer der Auftrag an ÖVP-Chef Karl Nehammer, eine Regierung zu bilden. Er habe beiden Parteichefs “sehr deutlich zu verstehen gegeben”, dass die weitere Regierungsbildung “ohne Zeitverzug geschehen” müsse.
Die FPÖ, klarer Wahlsieger vom 29. September 2024, hatte am Freitag den umgehenden Rücktritt Nehammers verlangt. Nur Herbert Kickl als Kanzler könne “diesem Chaos” ein Ende bereiten, so Generalsekretär Michael Schnedlitz. Bei den Grünen als potenzieller weiterer Regierungspartner von ÖVP und SPÖ betonte Gesundheitsminister Johannes Rauch, dass man als Notnagel oder Lückenbüßer nicht zur Verfügung stehe. (Katharina Mittelstaedt, Martin Tschiderer, APA, 4.1.2025)
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