Hatten die Neos recht mit ihrem Ausstieg aus den Koalitionsverhandlungen?
Für: Nein zu den koalitionären Kleingeistern
Es gibt zwei grundsätzliche Betrachtungsweisen: Die Neos müssen die schwarz-rote Krot fressen, um Herbert Kickl als Kanzler zu verhindern – weil alles unternommen und hingenommen werden muss, um Kickl und die FPÖ zu verhindern. Und es gibt die andere Betrachtungsweise, jene, die letztlich dazu geführt hat, dass die Neos aus den Regierungsverhandlungen ausgestiegen sind und ÖVP und SPÖ und letztlich auch die Republik ihrem Schicksal überlassen.
Es hat einfach nicht gereicht. ÖVP und SPÖ sind aus dem Klein-Klein nicht herausgekommen. Es hat ihnen die Kraft und der Mut gefehlt, die großen Herausforderungen anzugehen und die Dinge neu zu denken. Im Großen wie im Kleinen sind die Koalitionsverhandler im Verwalten steckengeblieben. Die Neos hätten ihren Segen zu einem “Weiter wie bisher”, zu einem kleinlichen Aufschlichten der Probleme, aber nicht deren Lösung geben müssen. Die Neos wären an ihrem eigenen Anspruch gescheitert, wenn sie in einer visionslosen Koalition das schmückende Beiwerk gegeben hätten.
Pensionen
Es liegt auf der Hand, dass im Pensionssystem etwas getan werden muss. Ganz vereinfacht gesagt: Wir leben immer länger, daher ist es auch logisch, dass wir auch länger arbeiten. Der Vorschlag der Neos war moderat, er hat darauf abgezielt, erst einmal das faktische Pensionsantrittsalter zu erhöhen, ehe man am gesetzlichen Pensionsantrittsalter dreht.
Auch sonst sahen sich die Neos koalitionären Kleingeistern gegenüber, die nicht in der Lage oder willens sind, über den nächsten Wahltag hinaus zu denken und Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Es braucht mehr Dynamik, um die Probleme des Landes und die Herausforderungen, vor der auch die nächste Generation steht, anzugehen. Es braucht auch mehr Transparenz.
Medien
Der ORF muss aus dem Zugriff der Parteien befreit werden, die Regierungsinserate müssen der Willkür der regierenden Parteien entzogen werden, die Medienförderung muss sinnvoll und nachvollziehbar geordnet werden. Wenn wir qualitätsvolle und vielfältige Medien haben wollen, muss die Regierung dafür auch die Grundlage zurechtrücken. All das war mit ÖVP und SPÖ nicht zu machen. Die denken immer noch nur an ihren Einfluss und ihre eigenen Vorteile. Da kam keine Bewegung rein.
Die Neos wollten etwas ändern und bewegen. Was und wie sie das tun wollten, ist durchaus nachvollziehbar. Sie waren dabei durchaus auch zu Kompromissen und Eingeständnissen bereit. Es ging nicht. Nicht mit der ÖVP und offenbar noch weniger mit der SPÖ. Daher war es nur logisch und konsequent, sich aus den Verhandlungen zurückzuziehen. Es liegt jetzt in der Verantwortung von ÖVP-Chef Karl Nehammer, der immer noch den Auftrag zu einer Regierungsbildung hat, etwas daraus zu machen. Im besten Fall hat der Rückzug der Neos etwas bewirkt und ein Umdenken angestoßen. Zu erwarten ist das nicht. (Michael Völker, 4.1.2025)
Wider: Damit haben Sie Kanzler Kickl gefördert
Hat da irgendwer die Sache durchgedacht? Ist irgendjemandem bei allen Beteiligten, vor allem aber bei den Neos einmal kurz der Gedanke aufgetaucht, dass man mit einem bestimmten Verhalten auf Sicht einen Bundeskanzler Herbert Kickl garantiert?
Beate Meinl-Reisinger hat ihre Begründung des Abbruchs der Koalitionsverhandlungen plausibel argumentiert: keine Reformen mit ÖVP und SPÖ möglich.
Gut, aber da gibt es eine Frage, die übergroß über den ganzen Vorgängen seit der Wahl am 29.September hängt. Die Koalitionsverhandlungen hatten auch das Ziel, eine Machtergreifung des Herbert Kickl zu verhindern.
Darüber waren sich Nehammer, Babler und Meinl-Reisinger einig: Den gilt es zu verhindern. Auch der Bundespräsident wollte dem Machtanspruch Kickls einen Riegel vorschieben, indem er erklärte, nachdem Kickl keinen Partner finde, könne er nicht ihn, sondern nur Nehammer mit der Regierungsbildung betrauen.
Strategie
Mit ihrem Verhandlungsaustritt hat Meinl-Reisinger, haben die Neos diese Strategie heftig durcheinandergebracht.
Die Kickl-FPÖ ist rein destruktiv, möchte eine autoritäre “Demokratie” installieren („Machen wir es dem Orbán nach!“). Sie will in Wirklichkeit wohl auch aus der EU austreten und hat ungeklärte Verbindungen zu Putins Russland. Herbert Kickl hat als Innenminister den Verfassungsschutz zerstört.
Meinl-Reisinger hat angeboten, eine ÖVP/SPÖ-Regierung mit einem Ein-Mandat-Überhang selektiv im Parlament zu stützen. Auch die Grünen wären wohl dazu bereit. So kann man sich schon ein, zwei Jahre weiterfretten. Diese Konstruktion ist aber nicht sehr stabil und würde relativ bald krachen gehen. Dann Neuwahlen und ein Triumph Kickls. Dann findet sich jemand aus der ÖVP, der ihm den Vizekanzler macht. Hauptsache, die ÖVP kriegt den Finanz-, Wirtschafts-und Justizminister.
Joker Kurz
Das kann aber schon viel früher passieren. Nehammer ist durch das Platzen der Verhandlungen ÖVP-intern (noch) schwächer geworden. Die Kräfte in der Volkspartei, besonders aus der Wirtschaft, die auch den Juniorpartner unter Kickl machen würden (Hauptsache, wir bekommen …) stürzen Nehammer.
Das kann entweder gleich, im fliegenden Wechsel oder nach Neuwahlen im Frühjahr passieren. Die würden die FPÖ in die Nähe der 40 Prozent bringen. Dann gibt es natürlich noch den Joker Sebastian Kurz. Er will zurück, heißt es. Aber nur nach Neuwahlen, wo er (unwahrscheinlich) die Nummer eins wird. Einen Vize unter Kickl macht er nicht.
Wie man es dreht und wendet: Der Beschluss der Neos hat einen Kanzler Kickl wahrscheinlicher gemacht. (Hans Rauscher, 4.1.2025)
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