Blau-schwarze Regierungsbildung fest in niederösterreichischer Hand
Seit nunmehr einer Woche basteln FPÖ und ÖVP im stillen Kämmerlein an einer Regierung, die in der Republik eine Zeitenwende einleiten wird. Und sie legen dabei ein beachtliches Tempo an den Tag: Für die große Frage, wie der Staatshaushalt saniert werden soll, benötigte man lediglich ein Wochenende, auch Fahrplan und Untergruppen wurden binnen weniger Tage aufgesetzt.
Wenn es dann in Kürze auch in personeller Hinsicht ans Eingemachte – sprich die Verteilung von Regierungsämtern – geht, haben Parteien oft ihre liebe Not damit, in einer künftigen Koalition möglichst alle Flügel und Interessenvertretungen ausreichend zu berücksichtigen und miteinzubeziehen. Schon bei der Besetzung von Verhandlungsgruppen gilt diese Regel der Repräsentation, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Denn die maßgeblichen Architekten der ersten blau-schwarzen Regierung auf Bundesebene bestechen weniger durch Parteivielfalt, vielmehr eint sie eine Sache: Das Gros kommt aus oder hat einen Bezug zum flächenmäßig größten Bundesland Niederösterreich.
Reiner Zufall – oder sind hier gerade zwei Handvoll Menschen am Werk, deren politische Wege sich teils schon in der Vergangenheit gekreuzt haben? Wer sind die Leute, die dieser Tage an einem für das Land noch nie dagewesenen Bündnis werken? Und ist der schwarz-blaue Pakt in Niederösterreich gar eine inhaltliche Blaupause für den Bund?
Das Sagen am Verhandlungstisch
Ein Blick auf die Gruppe der Chefverhandler offenbart jedenfalls deutlich, welches Bundesland am Verhandlungstisch das Sagen hat: Vier der sieben federführenden blauen Chefverhandler und drei der sechs schwarzen Hauptverhandler repräsentieren Niederösterreich – darunter die Parteichefs Herbert Kickl und Christian Stocker selbst. Auf blauer Seite kommen zudem die Generalsekretäre Michael Schnedlitz und Christian Hafenecker sowie der Kickl-Vertraute Reinhard Teufel aus Niederösterreich. Auf schwarzer Seite wird das Bundesland von Bauernbundpräsident Georg Strasser und indirekt auch von Generalsekretär Alexander Pröll, dessen Vater und Großvater ihre Wurzeln in Niederösterreich haben, vertreten: Josef Pröll war einst Vizekanzler, Erwin Pröll Landeshauptmann.
In der ÖVP gilt die Landesorganisation in dem schwarzen Kernland seit jeher als mächtig. In der FPÖ ist die Landesgruppe blaue Machtbastion, seit Kickl das Ruder in der Partei übernommen hat. Bis auf den blauen Parteichef und Pröll sind alle Genannten nicht nur auf bundespolitischer Bühne, sondern nach wie vor auch in Niederösterreich aktiv. Schnedlitz etwa als Bürgermeisterstellvertreter von Wiener Neustadt, Hafenecker als Gemeinderat in Kaumberg, Teufel als Klubobmann der Landesblauen, alle drei sind außerdem Landesparteiobmann-Stellvertreter von Udo Landbauer. Auf kommunaler Ebene tätig sind auch Stocker als Vizebürgermeister von Wiener Neustadt und Strasser als Bürgermeister von Nöchling.
Wiener Neustädter Scharnier
Wie es gelingen kann, exerzierten ÖVP und FPÖ schon vor zehn Jahren in Wiener Neustadt, viele Jahrzehnte fest in roter Hand, vor: Damals stellten mit Stocker und Schnedlitz just zwei Hauptfiguren der aktuellen Regierungsverhandlungen an zentraler Stelle einen schwarz-blauen Pakt mit auf die Beine, der bis heute besteht. Wichtige Player waren auf ÖVP-Seite einst auch der nunmehrige Wiener Neustädter Bürgermeister Klaus Schneeberger und auf FPÖ-Seite der aktuelle Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer.
Dass also just Stocker, bis zuletzt einer der lautstärksten Kickl-Kritiker und offizielles Gesicht für das schwarze Njet zu Blau, plötzlich doch am Verhandlungstisch mit der FPÖ auslostet, ob man künftig gemeinsam die Geschicke des Staates lenken könnte, ergibt vor diesem Hintergrund eine gewisse Logik. Stocker und Schnedlitz schenkten einander auf Bundesebene bis zuletzt zwar nichts, dürften aber dennoch einen guten Draht haben – und einander auf Lokalebene versöhnlicher begegnen.
So berichtete das Nachrichtenmagazin Profil unlängst über eine vielsagende Szene im Wiener Neustädter Rathaus im Dezember 2024. Demnach sagte Schnedlitz, der bei der Ende Jänner stattfindenden Gemeinderatswahl nicht mehr antreten wird, im Zuge seiner Abschiedsrede in Richtung Stocker: “Lieber Christian Stocker, du hast einmal was Wichtiges gesagt: Es kommt immer auf die Menschen an, und ich gebe dir vollkommen recht.” Mit diesem Credo könnte auch das blau-schwarze Kunststück im Bund gelingen.
Kickl-Moment im Land
Johanna Mikl-Leitner hatte ihren Kickl-Moment schon vor zwei Jahren. Damals platzten die Verhandlungen zwischen der Landeshauptfraupartei ÖVP und den Sozialdemokraten, deren Chef Sven Hergovich ultimative Forderungen von Bankomatengarantie bis Gratiskindergarten gestellt hatte. Die einst so mächtige Volkspartei musste sich zwischen zwei Demütigungen entscheiden: Ein Regierungsprogramm mit einer deutlichen roten Handschrift unterschreiben – oder sich doch der FPÖ zuwenden. Jener FPÖ, die Mikl-Leitner einst als “Moslem-Mama” verunglimpft hatte – und mit deren Obmann Landbauer die Landeshauptfrau eine Zusammenarbeit zuvor noch ausgeschlossen hatte.
Die Weichen wurden auf Schwarz-Blau gestellt – und zwar wieder einmal vom Wiener Neustädter Scharnier rund um Stocker, Schneeberger, Schnedlitz und Landbauer. Dann ging es ganz schnell: Nicht einmal eine Woche wurde verhandelt, ehe sie die Koalition mit versteinerten Minen präsentierten. Motto: Wir wollen nicht, aber wir müssen.
“Ich hätte geglaubt, dass es mühsamer wird”, sagt ein Schwarzer aus dem politischen Betrieb in St. Pölten heute zur Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen. Der Koalitionspartner sei “recht pragmatisch”. Inhaltlich werde man sich immer recht schnell einig.
Besonders im Vorfeld der Gemeinderatswahl schien es in der niederösterreichischen Koalition dann zu bröseln: Immer öfter beflegelten sich die Parteien zuletzt per Presseaussendung. Die Volkspartei sprach vom “politischen Limbospiel der Freiheitlichen”, die FPÖ von “ÖVP-Überheblichkeit”. Doch die öffentlichen Fetzereien dürften nur Show sein, von echten Blockaden in der Zusammenarbeit im Land ist nichts mitzubekommen. Politisches Schattenboxen, um die Funktionärinnen und Funktionäre bei Laune zu halten: Auch darauf müsste sich die Öffentlichkeit im Fall einer blau-schwarzen Koalition wohl einstellen.
Pakt der Symbolpolitik
Der in Windeseile geschmiedete Koalitionspakt in Niederösterreich erhielt über die Landesgrenzen hinweg viel Aufmerksamkeit. Gendersternverbot, Rückzahlung von Covid-Strafen, Wirtshausprämie: Es sind Projekte, die für Aufregung sorgten, eine klare blaue Handschrift tragen und auch schon umgesetzt wurden. Niederösterreich gilt nicht umsonst innerhalb der FPÖ als freiheitliches Vorbild.
Gerade wegen des Corona-Fonds lohnte sich aus Sicht der Bundes-FPÖ immer wieder der Blick nach Niederösterreich. Einen “historischen Meilenstein” nannte Kickl diesen und forderte bereits vor zwei Jahren dessen bundesweite Umsetzung. Mittlerweile ist der Fonds auch in der Steiermark unter Blau-Schwarz angedacht. Gut möglich, dass auch die Bundes-ÖVP bei diesem Thema mitzieht.
Quasi als fix gilt wohl auch ein Verbot des Genderns mit Sternchen, Bindestrichen und dergleichen mehr in der Verwaltung. ÖVP und FPÖ haben das in Niederösterreich bereits umgesetzt und planen dies auch in der Steiermark. Die ÖVP forcierte schon in den Verhandlungen mit SPÖ und Neos das Gendersternverbot; auch im Österreich-Plan von Ex-Kanzler Karl Nehammer war das Verbot festgeschrieben. Die FPÖ will dem “Genderwahn” – eine gängige Bezeichnung unter Freiheitlichen – ohnehin einen Riegel vorschieben.
In die Symbolpolitik der niederösterreichischen Regierungsprojekte reiht sich auch die Wirtshausprämie ein. Konkret handelt es sich dabei um eine Förderung von Gasthäusern mit traditioneller Speisekarte. Salopp gesagt geht es der FPÖ bei der Maßnahme darum, dass jene, die Kebap und anderes Essen aus dem Ausland anbieten, keine Förderung bekommen. Von Erfolg gekrönt war die Wirtshausprämie noch nicht, etwa 30 Betriebe nahmen sie bisher in Anspruch. Fraglich ist deshalb, ob Blau-Schwarz die Maßnahme auch im Bund in ihr Koalitionsprogramm schreibt. (Sebastian Fellner, Sandra Schieder, Max Stepan, 18.1.2025)
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