Bangen in Gaza vor Israels UNRWA-Verbot

Das israelische Parlament beschloss vor drei Monaten mit breiter Mehrheit, der mit Abstand wichtigsten Hilfsorganisation für die Palästinenser jede Tätigkeit in Israel zu verbieten. Israel forderte am Wochenende das Palästinenserhilfswerk auf, bis Donnerstag die Büros in Ostjerusalem zu räumen. Am Sonntag warnte das UNRWA, Israel breche damit internationales Recht und seine Verpflichtungen als UNO-Vollmitglied.

Das Verbot läuft auf ein De-facto-Verbot jeder Tätigkeit des UNRWA auch in den besetzten Gebieten hinaus, da Israel die Grenzübergänge kontrolliert. UNRWA-Hilfsgüter können damit auch nicht mehr von Israel in die besetzten Gebiete gebracht werden, was insbesondere Gaza schwer trifft, nachdem die Hilfslieferungen in größerem Ausmaß erst seit wenigen Tagen wieder in den von Krieg und Zerstörung schwer gezeichneten Küstenstreifen gelangen. Und aus Sicherheitsgründen kommt derzeit die gesamte Hilfe via Israel nach Gaza.

Kontaktverbot für israelische Behörden

Zudem werden internationalen UNRWA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern keine Arbeitsvisa mehr ausgestellt, womit diese in den nächsten Wochen und Monaten, sofern es zu keiner Einigung im Konflikt zwischen Israel und der UNO kommt, abgezogen werden müssen. Mit einem weiteren Gesetz wird zudem israelischen Behörden und öffentlichen Vertreterinnen und Vertretern jeder Kontakt mit der UNO-Hilfsorganisation untersagt.

Seit 1949 tätig

Die UNRWA war nach der Ablehnung des UNO-Teilungsplans durch die Palästinenser und arabische Staaten und deren Krieg gegen das neu gegründete Israel (1948–1949) ins Leben gerufen worden. Denn im Zuge des Krieges flüchteten rund 750.000 Palästinenser oder wurden vertrieben. Seither kümmert sich die UNRWA um diese Flüchtlinge und ihre Nachfahren – in Gaza, Westjordanland, Ostjerusalem und den umliegenden arabischen Ländern, insbesondere Jordanien und Libanon.

Vorwurf der Beteiligung von Mitarbeitern am 7. Oktober

Israel wirft dem UNO-Palästinenserhilfswerk vor, Mitarbeiter seien an Terroraktivitäten vom 7. Oktober beteiligt gewesen und die UNRWA sei von der Hamas unterwandert. Zudem kritisiert Israel die UNRWA schon lange. Israel wirft der Organisation grundsätzlich vor, das palästinensische Flüchtlingsproblem zu perpetuieren, indem diese alle Nachfahren Geflüchteter automatisch als Flüchtlinge registriert.

Diese, so die Sorge Israels, könnten in Verhandlungen für eine politische Beilegung des Konflikts ihre Ansprüche – etwa auf Rückkehr ins heutige Israel – geltend machen. Die UNRWA dagegen verweist auf ihr Mandat. Dieses umfasse humanitäre Hilfe, aber nicht die Suche nach einer politischen Lösung des Konflikts.

UNO befürchtet Präzedenzfall

Völkerrechtlich ist Israel als Besatzungsmacht dazu verpflichtet, die Bevölkerung selbst zu versorgen oder deren Versorgung zuzulassen. Der UNO-Sicherheitsrat hatte in einer einstimmigen Stellungnahme erklärt, jede Unterbrechung oder Aussetzung der Arbeit der UNRWA hätte schwerwiegende humanitäre Folgen für Millionen palästinensischer Flüchtlinge. Nach der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus ist unklar, wie sich die USA in der Causa positionieren werden. Trump hatte in seiner ersten Amtszeit die Hilfszahlungen an die UNRWA eingestellt.

Die UNO befürchtet zudem einen Präzedenzfall, wie Länder künftig missliebige UNO-Missionen verhindern oder zum Scheitern bringen könnten. Das Osloer Institut für Friedensforschung (PRIO) hat in einer aktuellen Analyse die Situation und die drohenden Folgen zusammengefasst. Demzufolge wies UNO-Generalsekretär Antonio Guterres bewusst alle UNO-Organisationen an, keinen Alternativplan zu entwickeln, um den Druck auf die UNO-Mitglieder, eine Lösung mit Israel zu finden, zu erhöhen.

Rückschlag von mehreren Jahren

Laut PRIO könnten etwa das Welternährungsprogramm (WFP) und das UNO-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) zumindest Teile der UNRWA-Tätigkeiten übernehmen. Bis die UNRWA-Hilfstätigkeiten in Gaza weitgehend substituiert seien, würde es aber etwa ein bis drei Jahre dauern, so die Schätzung.

Die UNRWA ist die bei Weitem wichtigste Hilfsorganisation in Gaza, die neben Hilfslieferungen auch zahlreiche Schulen und Krankenhäuser betreibt und eine entsprechende logistische Infrastruktur hatte oder hat. Wenn die UNRWA genau jetzt, wenn die Waffenruhe Hilfe in größerem Umfang wieder möglich macht, ihre Tätigkeit einstellen muss, bedeutet das einen schweren Schlag für die Versorgung der vom langen Krieg gezeichneten Menschen in Gaza – selbst wenn die UNRWA wohl noch finanzielle Kapazitäten für eine Übergangsphase hat.

1,9 Mio. Menschen versorgt

Laut PRIO waren im Dezember des Vorjahres 380.000 Menschen in UNRWA-Schulen untergebracht. Das Hilfswerk belieferte zudem 1,9 Mio. Menschen mit Lebensmitteln, 500.000 Binnenflüchtlinge wurden in dem Monat medizinisch versorgt und 500.000 Kinder psychosozial betreut.

Bereits im vergangenen Jahr sei ein Großteil der von der UNRWA gestellten Hilfsgüter als jene von anderen Organisationen ausgegeben worden, um Probleme mit Israel zu vermeiden. Offiziell habe der UNRWA-Anteil an Hilfen daher lediglich noch 15 Prozent betragen, was aber über die wahre Bedeutung der UNRWA hinwegtäusche.

Der drohende Kollaps der logistischen Kapazitäten der UNRWA wird laut PRIO auch die Verteilung anderer Hilfslieferungen wesentlich erschweren. Andere Hilfsorganisation haben auch keine derart etablierte Sicherheitskooperation mit der israelischen Armee – was die Lieferung und Verteilung der Hilfe gefährlicher machen könnte.

Schlechterstellung für Frauen droht

Als weiteren Effekt erwartet das Osloer Friedensforschungsinstitut eine deutliche Schlechterstellung für Frauen. UNRWA beschäftigt viele mehr Frauen als jede andere Institution in Gaza, und die Organisation verfolgt dezidiert das Ziel der Gleichstellung von Frauen im Gesundheitsbereich und in der Bildung.

Dilemma für UNO

Die UNO – und mit ihr das Palästinenserhilfswerk – steckt in einer Zwickmühle: Bereitet sie einen Plan B vor, droht ein Präzedenzfall – gibt es keinen Plan B, so wird das Leid der palästinensischen Bevölkerung weiter verstärkt. Und der israelische Bann wird rasch dazu führen, dass internationale Geberländer ihre Gelder an andere Organisationen umleiten und so die UNRWA weiter schwächen.

Für Israels Regierung ist das UNRWA-Verbot laut dem einflussreichen Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses in der Knesset, Juli Edelstein (Likud), „der erste Stein bei der Zerstörung des palästinensischen Terrors“, wie er laut dem Nachrichtenportal Srugim vor wenigen Tagen betonte.

Bei aller Zerstrittenheit der israelischen Innenpolitik gilt: Es gibt spätestens seit dem Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 auf Israel einen breiten Konsens über die Ablehnung der UNRWA. Einen konkreten Plan, wer die UNRWA ersetzen soll, gibt es allerdings nicht.

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