Wie die FPÖ im Wählerteich der Wiener Türken fischt – und damit Unmut auslöst

Dominik Nepp, blauer Spitzenkandidat bei der Wien-Wahl, befindet sich dieser Tage auf Stimmenfang.
Foto: APA/TOBIAS STEINMAURER

Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp empfängt mehrere türkische Medienvertreter zu einem exklusiven Interviewtermin im Rathaus. Werbesujets mit den Konterfeis von Nepp und Co tauchen auf türkischen Portalen in Landessprache auf. Und der blaue Lokalpolitiker Leo Lugner nimmt an einem Fastenbrechen von Atib, dem größten Moscheenverband Österreichs, teil – wenn auch in offizieller Mission für die Lugner City, wie der Gatte von Jacqueline Lugner, Tochter des im Vorjahr verstorbenen Baumeisters Richard Lugner, beteuert.


Über all diese Dinge, sprich das Buhlen der Wiener FPÖ um Stimmen aus der türkischen Community im Vorfeld der Wahl am 27. April, berichtete das Magazin Profil in den vergangenen Tagen mehrfach.


Früher Verdammen, heute Umgarnen

Knüpft nun also jene FPÖ, die keine Gelegenheit auslässt, gegen Muslime zu wettern, und Zuwanderung per se ablehnt, tatsächlich Bande zu türkischstämmigen Zuwanderinnen und Zuwandern? Nepp machte in den vergangenen Jahren immer wieder Stimmung gegen Atib. 2020 sagte er im Wahlkampf, der Verein, der dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nahesteht, stecke “tief im Islamistensumpf” und ignoriere “westliche Grundwerte”. Ein Verbot solle daher “angedacht und geprüft werden”.


Maximilian Krauss, seit 2020 Klubchef der Wiener FPÖ, nannte im Jahr 2014 den damaligen Stadtchef Michael Häupl (SPÖ) einen “Türken-Bürgermeister”. 2013 meinte Krauss, damals geschäftsführender Obmann des Rings Freiheitlicher Jugend Wien, dass “Zuwanderer mit ‘türkischem Blut’ in ihre Heimat” zurückgeschickt werden sollen. Getitelt war die Krauss-Aussendung mit: “Nicht einmal die dritte Generation türkischer Immigranten ist Teil unserer Gesellschaft.”


Mittlerweile könnte die FPÖ aber ein Wählerpotenzial bei Migrantinnen und Migranten mit österreichischem Pass erkannt haben. Wandte sich Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache einst den Serbinnen und Serben in Wien zu, setzte zuletzt ein leichtes indirektes Werben um Personen mit türkischem Migrationshintergrund ein. Ein Insider der Wiener FPÖ bestätigt dem STANDARD, dass man gezielt Personen – auch mit Migrationshintergrund – ansprechen wolle, “die ähnliche Werte hätten, die es bis jetzt aber für unmöglich gehalten haben, FPÖ zu wählen”.

Auf dem in türkischer Sprache gehaltenen Onlineportal Avusturya Gündemi war etwa vor zwei Wochen ein Werbeposting mit Bildern von Nepp, Krauss und Lugner zu finden. Darüber stand unter anderem: “Die Anzahl der Wiener Türken, die die FPÖ wählen, wächst jeden Tag.”


Großes Wählerpotenzial

Laut dem aktuellen Wiener Integrationsmonitor (mit Zahlen von 2023) leben knapp 76.000 Personen türkischer Herkunft in Wien, etwa 46.000 haben die türkische Staatsangehörigkeit. Somit dürften an die 30.000 Personen, die in der Türkei geboren wurden, die österreichische Staatsbürgerschaft haben. Dazu kommen Österreicherinnen und Österreicher mit türkischem Migrationshintergrund, die auch den Werten und Traditionen der Heimat ihrer Eltern oder Großeltern eng verbunden sind.


Bisher hat sich vor allem die SPÖ um diese Wählerschichten bemüht. Die umtriebige türkischstämmige Kandidatin Aslıhan Bozatemur kandidiert etwa auf Platz 22 der roten Landesliste und auf Platz fünf im Regionalwahlkreis Floridsdorf. Bei ihrem ersten Antreten 2020 bekam sie 3571 Vorzugsstimmen. Bei der Wiener SPÖ erhielten nur Bürgermeister Michael Ludwig und Gesundheitsstadtrat Peter Hacker mehr.


Ganz überraschend kommt der Vorstoß der FPÖ nicht. In Wien leben schließlich so viele Menschen mit Migrationshintergrund wie nirgendwo sonst. Vor fünf Jahren ist die blaue Landespartei im Zuge des Ibiza-Skandals von knapp 31 auf sieben Prozent heruntergerasselt. Ende April dürfte sie sich verdreifachen, aktuelle Umfragen prognostizieren den Freiheitlichen 22 Prozent. Doch vom blauen Höhenflug – die Bundespartei liegt derzeit in Umfragen jenseits der 30 Prozent, die steirischen Blauen erreichten vor wenigen Monaten bei der Landtagswahl knapp 35 Prozent – können die Wiener nicht in dem Ausmaß profitieren. Auch weil urbane Gebiete für die FPÖ generell ein schwieriges Pflaster sind, Wien sowieso. Da zählt jede Stimme.

Wahlkampf in Blau, hier in Simmering: Dominik Nepp will Wien fairer und sicherer machen.
Foto: Heribert Corn

Goldhändler und Gastronom

Doch wer fungiert als Verbinder zwischen Wiener FPÖ und türkischer Community? Wer sich in blauen Kreisen umhört, bekommt hier zwei Namen zu hören: Mehmet Özay und Güray Kaan Aras, beide Unternehmer – der eine Goldhändler, der andere Gastronom.


Özay kandidiert auf der blauen Landesliste auf Platz 34 – ein zwar unwählbarer, aber sichtbarer Platz. Der gebürtige Türke mit österreichischer Staatsbürgerschaft war bereits im Nationalratswahlkampf aktiv und machte mit einem riesigen Kickl-Sujet, das er vor seinem Geschäftslokal in Wiener Neustadt affichierte, Schlagzeilen. Darauf reagierte auch Kickl via Social Media: “Immer mehr gut integrierte Zuwanderer werden Teil unserer freiheitlichen Familie und das ist gut so. Denn gut integrierte Migranten brauchen von der FPÖ definitiv keine Angst haben”, schrieb er auf Facebook.

Özay war außerdem Teil des Personenkomitees von Leo Lugner im Zuge seines Vorzugsstimmenwahlkampfs bei der Nationalratswahl. Auch beim Fastenbrechen von Atib, an dem Lugner teilnahm, waren Özay und Aras zugegen. Aras dürfte einer von Özays Unterstützern aus der türkischen Community sein.

Öffentlichkeitswirksam präsentierte Leo Lugner Mitte September sein Personenkomitee in der Lugner City. Darunter: der Goldhändler Mehmet Özay (hinten im Bild).
APA/HELMUT FOHRINGER

Laut dem blauen Insider sollen die eingangs erwähnten Initiativen – Interviewtermin im Rathaus und Werbesujet mit blauer Prominenz im Bild und in türkischer Sprache – von den beiden ausgegangen beziehungsweise eingefädelt worden sein. Nepp sei um das Interview angefragt worden und habe zugesagt; von den Werbesujets hätten Landesparteichef und Co nichts gewusst. Özay und Aras reagieren auf Anfragen des STANDARD nicht.


“Gegen den Asylwahnsinn”

Özay wandte sich am Montagabend allerdings via Social Media an “Liebe Freunde!”, denn seine Kandidatur für die FPÖ sorge für “große Nervosität” bei politischen Mitbewerbern und “große Aufregung” bei einigen Medien. Er, der sich selbst “stolzer rot-weiß-roter Patriot” nennt, unterstütze die FPÖ und Kickl “mit voller Überzeugung” seit vielen Jahren, schreibt Mehmet “Memo” Özay dort: “Weil ich die Anliegen der FPÖ für mehr Sicherheit, Fairness und gegen den Asylwahnsinn für die richtigen halte.”


Weiters stellt der Unternehmer “ein für alle Mal klar: Ich hatte und habe mit religiösem Extremismus nichts zu tun und lehne diesen entschieden ab.” Dies auch, weil er in der eigenen Familie erlebt habe, “wie schnell ein Kind radikalisiert werden kann. Ich bin für die strikte Trennung von Staat und Religion.” Und Özay schildert, dass er eines Tages “plötzlich” selbst einer jener Eltern gewesen sei, die er immer verurteilt habe, weil sie nicht gemerkt hätten, dass ihr Kind unbemerkt in islamistische Kreise gerutscht sei. “Ich konnte gerade noch rechtzeitig eingreifen, sonst wäre wohl Schlimmeres passiert. Deshalb möchte ich den radikalen Islam gemeinsam mit der FPÖ bekämpfen”, schreibt der FPÖ-Kandidat Özay.


Wider die “woke” SPÖ

In einem Social-Media-Posting der selbsternannten türkischen Online-Nachrichtenseite Avusturya Gündemi mit Fotos von Nepp, Krauss und Lugner wurden auch Gründe aufgezählt, warum man die FPÖ bei der Wien-Wahl ankreuzen soll: So sei die “LGBT-Propaganda” für türkische Familien in Wien zu einem großen Problem geworden. Die FPÖ sei hier für Wähler mit türkischen Wurzeln, die Kinder in Wiener Schulen haben, die einzige Hoffnung. Auch dass die FPÖ Banden- und Drogenkriminalität thematisiere, wird positiv hervorgestrichen. Die SPÖ sei hingegen eine große Enttäuschung und mittlerweile “woke”.


Offiziell lässt die Wiener FPÖ auf Anfrage wissen, dass die Sujets nicht von der Landespartei beauftragt worden seien; dahinter dürften Unternehmer stehen, die die FPÖ unterstützen wollen, heißt es. Auf Özay sei man aufmerksam geworden, weil dieser “die FPÖ schon bei vielen Wahlgängen aktiv unterstützt” habe. Und: Die Freiheitlichen seien und blieben “die schärfsten Kämpfer gegen den politischen beziehungsweise radikalen Islam”.


Rechte Medien rücken aus

Scharfe Kritik kommt von der Wiener ÖVP, die im Wahlkampf bewusst auf Stimmen aus der freiheitlichen Ecke schielt. “Die FPÖ verkauft ihre Wähler für Stimmen des organisierten politischen Islam – ohne jede Scham”, sagt der schwarze Parteichef Karl Mahrer. “Jahrelang war sie die Partei der großen Feindbilder, jetzt umarmt sie genau jene Gruppen, die sie noch gestern attackiert hat.” Kritisiert wird auch der Termin mit Nepp für türkische Medien. Strache wiederum, Nepps Vorgänger als Wiener FPÖ-Chef und mit seiner Liste HC ebenfalls im Wahlkampf, sieht eine “Anbiederung der FPÖ Wien an den politischen Islam”. Das sei “unerträglich und ein Verrat an freiheitlichen Wählern”.


Das Buhlen um Stimmen der türkischen Community dürfte auch intern nicht allerorts gut ankommen. “Es wird eine Reihe von Leuten in der FPÖ geben, denen das sauer aufstößt und die sagen, wir brauchen keine Türken”, räumt der blaue Insider ein. Auch den Freiheitlichen nahestehende Medien berichten bereits kritisch. So reagierte das rechtsextreme Portal Der Status auf die Berichterstattung des Profil und veröffentlichte einen Leserbrief mit dem Titel “Ist die FPÖ Wien neuerdings tatsächlich daham beim Islam?”, in der Dachzeile stand: “Werteflexibilität bei den Freiheitlichen”.


Was FPÖ-Chef Herbert Kickl von alledem hält, ist nicht überliefert. Im Zuge des Nationalratswahlkampfs im Vorjahr positionierte er sich jedenfalls klar gegen Vereinigungen wie Atib und forderte deren Verbot. Gleichzeitig warb aber auch er um Stimmen von Migrantinnen und Migranten – im Vorjahr postete Kickl ein Video eines Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund, der sich zur FPÖ bekennt. „Es ist schön, wenn sich diese Menschen unserer freiheitlichen Familie anschließen: Denn immer mehr gut integrierte Migranten wählen FPÖ!“, schrieb der Parteichef.


Am Sonntag lädt der Erdoğan-nahe Verein Atib übrigens zum Fastenbrechen in die Lugner City – ob Leo Lugner teilnehmen wird, ist unklar. (David Krutzler, Sandra Schieder, 17.3.2025)


Update: Um 20.25 Uhr wurde das Social-Media-Posting von Mehmet Özay ergänzt.


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