Der Wiener Verfassungsschutz und die jüdischen Studierenden

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Hat der Verfassungsschutz auf Zuruf eines FPÖ-Politikers gegen Aktivisten ermittelt? Staatssekretär Leichtfried ordnete “lückenlose Prüfung” an

Hat der Wiener Verfassungsschutz, das Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung Wien (LSE), auf Zuruf eines FPÖ-Politikers ein Verfahren gegen jüdische Studierende eingeleitet und “auf eigene Faust” ermittelt? Jedenfalls vermuten das jene Aktivisten und Aktivistinnen, die sich nach einer Protestaktion im Vorfeld des diesjährigen Akademikerballs der FPÖ mit Ermittlungen konfrontiert sahen.

Die Ermittlungen kamen durch eine Anzeige des FPÖ-Politikers und Ballorganisators Udo Guggenbichler ins Rollen. Er zeigte die jüdischen Studierenden “wegen Verhetzung” an, da der Akademikerball als “Naziball” bezeichnet wurde. Laut den Betroffenen sollen die Ermittlungen ohne Involvierung der Staatsanwaltschaft eingeleitet worden sein. Die Wiener Polizei will das nicht groß kommentieren. Jedoch wird betont, dass das LSE die Berichtspflicht an die Staatsanwaltschaft beachtet hat und dieser “nachgekommen ist”. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt.


Lückenlose Prüfung

Der Fall ist damit aber nicht vom Tisch. Der für den Verfassungsschutz zuständige Staatssekretär Jörg Leichtfried (SPÖ) hat sich der Sache angenommen. “Ich habe bereits eine lückenlose Prüfung zu den Hintergründen des Vorfalls angeordnet”, sagt Leichtfried dem STANDARD. Leichtfried leitet erst seit wenigen Wochen das Staatssekretariat für Staatsschutz und Nachrichtendienst.

Staatssekretär Jörg Leichtfried (SPÖ) und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP)
Staatssekretär Jörg Leichtfried (SPÖ) und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP).
Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Mit seinem Vorgehen ist das LSE Wien in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Dabei fällt auf, dass es sich von anderen Verfassungsschutzämtern unterscheidet: Es ist eine blaue Hochburg. Bei den Personalvertretungswahlen im vergangenen Herbst holte die FPÖ-nahe “Aktionsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher” (AUF) mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen und damit drei Mandate. Die ÖVP- und SPÖ-nahen Verfassungsschützer holten jeweils ein Mandat.


Blaue Hochburg

Das ist ein einzigartiges Ergebnis bei Personalvertretungswahlen. In keinem anderen Bundesland konnten die Freiheitlichen derart bei Verfassungsschützern punkten. Auch nicht bei der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) – dem ehemaligen BVT, die gemeinsam mit den Landesämtern für den Staatsschutz zuständig ist. Dort bekamen die Freiheitlichen kaum Stimmen und erzielten auch kein Mandat. Im DSN gewann die ÖVP-nahe Gewerkschaft fünf Mandate, die SPÖ-nahe erzielte drei. Offensichtlich haben die DSN-Agenten die von einem FPÖ-Funktionär angeführte Razzia während der Amtszeit von Herbert Kickl als Innenminister nicht vergessen.


Dazu kommt, dass das Verhältnis zwischen der DSN und dem LSE Wien seit Jahren nicht ganz friktionsfrei ist. Eine Anekdote vom März 2024 beschreibt das recht treffend. Damals wurde öffentlich, dass LSE-Beamte kleine Geschenke von der russischen Botschaft angenommen haben, während der DSN-Chef fast gleichzeitig vor russischer Einflussnahme in Österreich warnte.


Auch agierten Beamte des Wiener Verfassungsschutzes als “Leibgarde für den ehemaligen Innenminister Kickl“. Im Jahr 2018 zog Kickl per Weisung drei Gruppen zu je fünf Beamten aus verschiedenen Polizei-Dienststellen im Wiener Verfassungsschutz zusammen, die statt der normalerweise zuständigen Cobra den Personenschutz der damaligen FPÖ-Minister übernahmen. Die Leibgarde bestand vor allem aus Angehörigen der blauen Polizeigewerkschaft AUF.


FPÖ-Politiker sind Teil der rechtsextremen Szene

Angesichts der LSE-Aufgabe, Rechtsextreme zu beobachten, ist das Wiener Ergebnis bei den Personalvertretungswahlen bemerkenswert – zumal freiheitliche Politiker immer wieder bei rechtsextremen Demonstrationen auftreten oder einschlägige Veranstaltungen besuchen.


Einige dieser Auftritte werden auch im Verfassungsschutzbericht der DSN aufgeführt. Darunter etwa eine Veranstaltung vor der Universität Wien, die von einem späteren Mitarbeiter des Innenministeriums 2023 organisiert wurde, der damals für den “Ring Freiheitlicher Studenten” (RFS) aktiv war. Die Erwähnung dieser Auftritte im Verfassungsschutzbericht hat DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner zu einem Feindbild der FPÖ gemacht. Seine Arbeit und Professionalität wird infrage gestellt, er wird in FPÖ-nahen Zeitschriften und von den Identitären rassistisch beflegelt.

Der FPÖ-Alt-Politiker/Talkshow-Gast Andreas Mölzer  am Akademikerball 2025. In seinem Blatt
Der FPÖ-Alt-Politiker/ Talkshow-Gast Andreas Mölzer am Akademikerball 2025. In seinem Blatt “Zur Zeit” wurde der DSN-Chef beflegelt.
Foto: Markus Sulzbacher

Der LSE-Wien-Chef Harald Köllner betont jedenfalls die “Unparteilichkeit und Objektivität” seiner Leute. “Niemand kann uns vorwerfen, dass wir uns mit gewissen Bereichen weniger befassen. Wir bearbeiten alles auf der Basis der Gesetze”, führte er unlängst in einem Interview aus. (Markus Sulzbacher, 30.3.2025)


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