Neos-Klubchef Shetty: “Wer Schutzrecht missbraucht, wird abgeschoben”

Das Reflektorium ist ein lichter, Ton in Ton in beigen Farben eingerichteter Raum im Parlament. Dort sollen sich Abgeordnete zwischen Sitzungen zurückziehen können – und nachdenken. Das passiere allerdings selten, ist von Parlamentariern zu hören. Jetzt läuft Yannick Shetty durch die große Flügeltür und setzt sich an den hellen Holztisch für sein erstes STANDARD-Interview als Klubchef.
STANDARD: Die Regierung schlägt harte Töne gegen Migranten, Flüchtlinge und den Islam an. Sie wollen denFamiliennachzug aussetzen, das Islamgesetz verschärfen und Kopftücher für junge Mädchen verbieten. Eigentlich vermitteln Sie: Es leben zu viele Musliminnen und Muslime in diesem Land.
Shetty: Das ist nicht die Frage einer einzigen Religion. Aber es braucht mehr Ordnung und Kontrolle bei Migration. Eine liberale, offene Gesellschaft verträgt nur ein bestimmtes Maß an Zuwanderung.
STANDARD: Und dieses Maß ist aus Ihrer Sicht voll?
Shetty: Migration kann nur im Rahmen der möglichen Integration erfolgen. Diese Integrationskapazitäten sind derzeit erschöpft. Nicht nur aufgrund der budgetären Lage, sondern auch im Hinblick auf fehlende Ressourcen – in der Schule, auch im Gesundheitssystem. Das heißt nicht, dass es keine Zuwanderung mehr geben kann. Sie muss aber in dem Rahmen erfolgen, in dem Integration funktioniert. Passiert das nicht, haben Geflüchtete keine Chance. Und das schafft Probleme.

STANDARD: Es gibt seit Jahren ein politisches Hickhack der Bundesländer darum, wer wie viele Flüchtlinge aufnimmt. Auf den geplanten Familiennachzug hätten die Schulen in Wien auch vorbereitet werden können. Hat der Staat hier versagt?
Shetty: Ja, der Staat hat versagt. Weil man zu lange der Meinung war, Integration funktioniere “by the way”. Ohne Ordnung und Regeln kommt man aber nicht aus. Es braucht von Tag eins an einen Pfad, wie sich Menschen in Österreich integrieren können. Da geht es nicht um Assimilation, sondern darum, ein aktiver Teil der Gesellschaft zu werden. Mit dem verpflichtenden Integrationsprogramm ab Tag eins wollen wir als Bundesregierung dafür nun einen Rahmen schaffen.
STANDARD: Die Regierung will das Kopftuch in der Schule verbieten. Wird da ernsthaft ein reales Problem bekämpft, oder ist das Symbolpolitik?
Shetty: Steht das Verbot bei mir ganz oben auf der Prioritätenliste? Nein. Aber es ist nicht nur symbolisch. Wenn man in viele Wiener Bezirke schaut, dann sucht man nicht lange nach jungen Mädchen, die Kopftuch tragen oder noch stärker verhüllt sind. Was bedeutet es für eine Achtjährige, wenn sie durch patriarchale Strukturen dazu gezwungen wird, ein Kopftuch zu tragen? Mir kann niemand erklären, dass das für ihre Chancen und Entfaltung gut ist.
STANDARD: Die Linie der Neos war immer, dass religiöse Symbole in der Schule generell nichts verloren haben. Sollte auch das Kreuz weg?
Shetty: In einer Neos-Alleinregierung gäbe es eine möglichst religionsneutrale Schule.

STANDARD: Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) will das Islamgesetz verschärfen. Wie könnte eine Reform konkret aussehen?
Shetty: Handlungsbedarf gibt es etwa bei Moscheenschließungen. Das muss bei extremistischen Strömungen einfacher werden. Ebenso sollte der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen stärker vom Staat beaufsichtigt werden. Momentan liegt die Kontrolle rein bei den Glaubensgemeinschaften. Aber wir dürfen nicht naiv sein: Wir haben im Bereich des Islam derzeit die größten Probleme.
STANDARD: Sie haben dem schwarzen Innenminister Gerhard Karner vor einem Monat noch eine “PR-Show” vorgeworfen aufgrund seiner Pläne für eine Messenger-Überwachung. Jetzt stehen Sie dahinter. Warum?
Shetty: Wir stehen nicht vorbehaltlos dahinter.
STANDARD: Der rote Staatssekretär Jörg Leichtfried sagt, die Regierung wolle die Messenger-Überwachung noch vor dem Sommer einführen.
Shetty: Im Regierungsprogramm steht, dass es eine verfassungskonforme Gefährder-Überwachung geben soll. Das unterstützen wir. Die in den letzten Jahren kolportierte Variante halten wir und viele Experten für rechtlich nicht durchsetzbar. Der Ball liegt beim Innenminister.

STANDARD: Soll der Innenminister straffällige Asylwerber nach Afghanistan und Syrien abschieben?
Shetty: Bei einem Kaugummidiebstahl nicht. Bei einer Vergewaltigung schon.
STANDARD: Der Innenminister musste vergangene Woche eine Syrien-Reise wegen der gefährlichen Lage dort abbrechen. Wie realistisch ist es wirklich, dorthin abzuschieben?
Shetty: Das ist eine Frage, die ständig evaluiert wird. Die Botschaft muss klar sein: Wer sein Schutzrecht missbraucht, wird abgeschoben. Rückführungen in Nachbarländer können dazu eine erste Lösung sein.
STANDARD: Es kam gerade zu 18 Festnahmen nach brutalen Misshandlungen von Homosexuellen. Die mutmaßlichen Täter werden dem rechtsextremen Milieu zugerechnet. Jihadismus oder Rechtsextreme: Wo gibt es mehr politischen Handlungsbedarf?
Shetty: Da muss man unterscheiden. Das war eine Treibjagd von Rechtsextremen gegen Homosexuelle, wie wir sie in dieser Form etwa aus Ungarn kennen. Wenn wir von der Quantität, über Beschimpfungen und Attacken im öffentlichen Raum reden, dann gibt es in gewissen migrantischen Milieus gerade in Ballungsräumen ein massives Problem. Das hat aber nichts mit Jihadismus zu tun. Beides gehört bekämpft.
STANDARD: Braucht es einen eigenen Strafrechtsparagrafen für Hate-Crime gegen Homosexuelle?
Shetty: Es wär schon einmal gut, wenn die Strafen stärker exekutiert werden. Bei Hate-Crime gibt es extrem hohe Dunkelziffern. Rechtliche Änderungen sind auch denkbar.
STANDARD: Sie sind ein offen homosexueller Politiker. Können Sie sich angstfrei durch Wien bewegen?
Shetty: Ja, aber ich würde meine Liebe zu meinem Partner an bestimmten Orten in Wien nicht so zeigen, wie es heterosexuelle Paare tun. Aus guten Gründen.

STANDARD: Die Neos wollten ein EU-Defizitverfahren um jeden Preis verhindern. Jetzt sprechen SPÖ wie auch schon die ÖVP davon, dass es nicht sodramatisch wäre. Teilen Sie diese Einschätzung inzwischen auch?
Shetty: Nicht wir, sondern die EU-Kommission entscheidet, ob ein Defizitverfahren kommt. So oder so müssen wir jetzt das Budget sanieren und Reformen angehen. Und wir Neos werden der Garant dafür sein, dass das auch passiert.
STANDARD: Ein anderes aktuelles Thema ist Spionage. Halten Sie Österreich für einen Spionage-Hotspot?
Shetty: Mit Sicherheit. Wien ist ein Tummelplatz für Spione. Da wurden zu lange beide Augen zugedrückt. Es laufen hier auch bereits Gespräche für gesetzliche Verschärfungen.
STANDARD: Vergangenen Sommer haben Sie einen Russland-Untersuchungsausschuss gefordert. Wir nehmen an, Sie bleiben dabei?
Shetty: Wir Neos sind nicht nur Reform-, sondern auch Kontrollkraft. Wir sind die Ersten, die sich an der Aufklärung von Korruption und Machtmissbrauch beteiligen.
STANDARD: Aus dem Interview mit Ihrem SPÖ-Gegenüber Philip Kucher wissen wir, dass Sie ihm zum gemeinsamen Einstand eine Kiste Bier geschenkt haben. Haben Sie auch etwas von den anderen Klubchefs der Regierungsparteien bekommen?
Shetty: August Wöginger hat mir eine Espressotasse mit ÖVP-Logo aus Gmundner Keramik geschenkt. Philip Kucher hat uns einen Kärntner Reindling angekündigt. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 31.3.2025)
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